Ein Chor, der immer neue Anstösse gab

Im Mai 1965 gründete Roland Fink mit Kolleginnen und Kollegen aus dem Oberseminar Zürich die Roland Fink Singers.

Er wollte in der Chormusik neue Wege gehen. Ihn reizten weder die Klassik noch die typische Chorliteratur. Sein Chor sollte Jazznummern singen – und Standards, bewährte Stücke populärer Musik. Das erste Lied war «September in the Rain» und wurde im gleichen Jahr am Jazz-Festival Zürich stürmisch beklatscht: Ein Chor, der moderne populäre Musik sang - das gabs in der Schweiz noch nicht.

Seither reisten die Roland Fink Singers um die halbe Welt. Sie waren in vielen Ländern Europas, in Nordamerika, in Brasilien und Australien. Und sie haben die Spartengrenzen der leichten Musik überschritten.

Zu den Jazzmelodien und Standards kamen Schlager, Rocksongs, Western, Shanties, Spirituals, Madrigale, Liebeslieder aus fünf Jahrhunderten, südamerikanische Melodien, Volkslieder und Weihnachtsmusik hinzu.

Roland Fink arrangierte sämtliche Lieder selbst und machte immer wieder Klangexperimente, die auch eine gewiefte Zuhörerschaft zu überraschen vermochten.

Im Dezember 2015, nach fünfzig Jahren, gaben die Roland Fink Singers ihr letztes Konzert.

Sängerinnen und Sänger

Sängerinnen und Sänger
Nach dem ersten Auftritt (1965) löste sich der Chor bald auf. Die jungen Lehrerinnen und Lehrer, aus denen er bestand, zerstreuten sich über die ganze Schweiz. Eine Probe pro Woche war für viele zu viel. Roland Fink stockte die wenigen Verbliebenen gleich auf 20 Mitglieder auf. Später baute der Experimentierfreudige den Chor auf bis zu 40 Sängerinnen und Sänger aus, dann liess der ihn wieder auf 16 abmagern. Seit vielen Jahren liegt die ideale Grösse bei rund 25 Mitgliedern.
Lange waren die Mehrheit davon Lehrpersonen. Heute nur noch rund die Hälfte. Und die andern? Sie sind zum Beispiel Sekretärin, Ingenieur, Journalist, Therapeutin, Philosophin, Postangestellte, Hortleiter. Die meisten bleiben sehr lange beim Chor. Am allermeisten Erfahrung hat Katharina Rapp. Die 1945 geborene Winterthurerin ist seit Mai 1965 dabei, seit der allerersten Probe des Chors.

Die Proben
Probe ist einmal in der Woche in Dietlikon ZH. Zweieinhalb Stunden wird geprobt – in lockerer Atmosphäre. Bei den Konzerten hat normalerweise keiner ein Blatt vor der Nase, alle blicken auf den Chorleiter. Die Konzentration ist total, die Präsenz stark, die Präzision gross. Seit Januar 2012 singt erstmals eine Frau im Tenor mit.

Der Chor und sein Umfeld
Manches Chormitglied musste sich früher rechtfertigen, wenn Freunde fragten: «In welchem Chor singst du denn?» und die Antwort lautete: «Wir machen vor allem leichte Musik».

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Leichte Musik aber hielten viele Zeitgenossen für unseriös. Heute weiss jedermann, dass gute Chormusik nicht zwingend nach Bach oder Mendelssohn klingen muss. Viele andere Chöre haben sich ganz der populären Musik zugewandt oder hängen ihren Konzerten einen «Pop»-Teil an. Die «Roland Fink Singers» bleiben ihrem Stil treu. Oder besser: ihren Stilen. Das ist Musik mit Substanz, Musik, die aber immer auch unterhaltend ist. Darin sind sie stark, und das hört man. Wie die «Roland Fink Singers» ist auch ihr Publikum zusammengesetzt: farbig und aus jeder Altersstufe.

Highlights und Rekorde

Reisen
Die zahlreichen Konzertreisen brachten den «Roland Fink Singers» grossartige Erlebnisse. 
In einem Kunstgymnasium in Norddeutschland fand der Chor das aufmerksamste, enthusiastischste Publikum. In einer Bündner Berggemeinde hatten die Singers einen bewegenden Auftritt mit dem einheimischen Chor. In Brasilien sangen sie Bossa Novas, und manche Besucher sprangen auf und begannen zu tanzen, einige mit glänzenden Augen. In Polen, kurz vor Ende des Kommunismus, sang der Chor ahnungslos Lulaijze Jezuniu, das emotionalste und berühmteste Weihnachtslied des Landes. Viele Zuhörer und auch einige Chorsänger weinten.

Numerischer Rekord
1975 sang der Chor in Arizona (USA) in der offenen Arena einer Rentnersiedlung vor 8000 rhythmisch klatschenden Zuhörern.

Serienrekorde
40mal trat eine Kleinformation in Zürich als Backgroundchor des Musicals «Hair» auf. Hautnah erlebten sie den damals sensationellen Gag vor der Pause: Unter einem riesigen Tuch zogen sich die Darsteller aus und standen dann nackt da. Die Backgroundsänger aber lernten, wie rasch solche Reize verfliegen.
38mal bestritt eine Abordnung des Chors den Schlussabend einer Europareise für amerikanische Touristen. Man sang das ganze Volkslieder-Repertoire hinauf und hinunter und jodelte sogar ein bisschen.

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Lernrekord
Jedes Jahr wird ein Teil des Hunderte von Liedern umfassenden Repertoires ersetzt oder verändert. In Konzerten singen die «Roland Fink Singers» in der Regel auswendig und in den Originalsprachen. Bei Arrangements von Roland Fink gibt es praktisch keine sich wiederholenden Teile – eine tüchtige Herausforderung.

Kälterekord
Ein Adventskonzert in einer ungeheizten Prager Kirche. Einige Sänger klapperten so stark mit den Zähnen, dass sie zu singen aufhörten.

Erfolg im Tierreich
Im Jahre 2007, während einer Probenwoche in Hertenstein, entwickelte sich ein Pfau vor dem Fenster zum Fan des Songs Walking My Baby Back Home. Er begann gurgelnd zu röhren, wann immer die Melodie erklang, und öffnete mit verklärtem Blick sein knallblaues Präsentiergefieder.

fleischsuppe, Hund als Dirigent

Denkwürdige Auftritte
1975 konnten die «Roland Fink Singers» noch unter Stabführung des letzten Walzerkönigs singen. Rudolf Stolz dirigierte eigene Werke in einer Sendung des österreichischen Fernsehens. Der Chor sang, und anschliessend walzerte er mit Mitgliedern des Wiener Staatsopernballetts.
TV-Sendungen in der Schweiz, in Deutschland, Österreich und den USA präsentierten den «swingenden Chor aus Zürich». Moderatoren von Heidi Abel über Toni Sailer bis zu Sepp Trütsch machten Kurzinterviews mit dem Chorleiter. In den Pausen zwischen den Aufnahmen plauderten die Sänger einmal mit Josep Carreras, ein andermal mit dem Trio Eugster.

Fragwürdige Szenen
In einem Hotel traten die Roland Fink neben einem Swimmingpool vor einem Scheich und einigen leicht bekleideten Damen auf. Gut für die Chorkasse – doch man beschloss, solches nicht zu wiederholen. Unüblichster Austrittsort war die (abgeschaltete) Rolltreppe in einem US-Einkaufszentrum.

Oden an Produkte
Ohne es zu wissen, genossen viele Schweizerinnen und Schweizer in den Siebzigerjahren die «Roland Fink Singers» am Bildschirm. Damals wurden sehr viele TV-Werbespots mit Chorgesang untermalt. Und die «Roland Fink Singers» waren der einzige Chor, der immer schnell in der Lage war, eine Dreier- oder Fünferdelegation ins Tonstudio zu schicken. Da standen dann die Sänger und jauchzten: «Knorr Fleischsuppe spezial isch en Gnuss bi jedem Mahl!» oder «Frolic plaît bien au chien, et cela se comprend très très bien!» Dieses Opus ist den Beteiligten noch in froher Erinnerung, weil hier zum ersten und bisher letzten Mal ein Hund den Chor dirigierte: Im schon fertig gedrehten Film wedelte ein Dackel im Cha-cha-cha-Rhythmus, an den sich die Musik anzupassen hatte.
Nach vielen gehauchten Oden an Kolagetränke oder Enthaarungssprays wurde es den «Roland Fink Singers» zuviel. Sie wandten sich von dieser Branche ab.

interview mit dem chorleiter

Der Chorleiter über seinen Chor

Wie würdest du deinen Chor als nüchterner Musikkritiker einschätzen? 
Es ist ein guter, ja sehr guter Chor, sicher im oberen Drittel. Keiner mit ausgebildeten Stimmen, das würde anders, vielleicht unpassend klingen. Aber einer, der eine Menge Wissen und Können angesammelt hat. Wir haben Leute, die Jahrzehnte dabei sind. Immer neue «Generationen» von Sängerinnen und Sängern lernen bei ihnen, wie man im Spanischen eine Buchstabenfolge wie «t-a-e-n» auf einer einzigen Note singen kann. Oder den elastischen Swing – den macht uns in der Schweiz nicht so leicht ein Chor nach.

Kann man Swing erlernen?
Wenn man mitten in einem Klangkörper singt, swingt man leichter mit, auch wenn man vorgezogene oder abgebrochene Noten bisher nicht kannte. Swing haben die «Roland Fink Singers» wie ein kollektives Gedächtnis intus.

Also braucht man keine speziellen Sängerqualitäten, wenn man eintreten will?
Man sollte eine gute Stimme haben und entweder gut Noten lesen oder sehr gut nach Gehör singen. Man sollte auch Sinn für Sprachen haben – man muss ja zum Beispiel Texte in brasilianischem Portugiesisch, Polnisch oder Finnisch auswendig lernen 

«September In The Rain» war das einzige Lied, das der Chor konnte, als er 1965 am Zürcher Jazz-Festival auftrat. Das war ja tollkühn! Reisst du gern Dinge an, vor denen andere Angst hätten?
Das kann sein. Ich habe zum Beispiel immer gesagt «Wir kriegen das hin!», wenn es darum ging, eine Tournee durch ein riesiges Land wie Brasilien zu organisieren. Da hätte so viel schief laufen können! Letztlich haben wir es auch immer geschafft, ohne Schulden zu machen. Und waren um unerhörte Erlebnisse reicher.

Eine Familie?
Teilweise schon. Die «Roland Fink Singers» sind eine Gemeinschaft von Menschen, die auch neben der Musik viel miteinander unternehmen.

Und was sagst du zum Thema musikalische Basisdemokratie?
Es ist noch immer so, dass viele fertig gesetzte Lieder still und leise verschwinden, weil ich merke, dass sie beim Chor nicht ankommen, oder dass sie gar lautstark abgelehnt werden. Manchmal finden meine Sänger auch einen kleinen Fehler in einer Partitur. Weiter geht die musikalische Mitbestimmung nicht. Wir sind aber weit demokratischer als andere Chöre: Neue Leute etwa müssen sich beim Singen und menschlich einleben, erst dann sagen Chor und Dirigent ja zu ihnen.

Interview
Peter Trösch